Erwin Strittmatter und Pretzsch
Erwin Strittmatter am 12.August 1912 geboren. Noch heute kennen wir seine beeindruckten Romane und Erzählungen, die in vielfältiger Weise besonders das Leben auf dem Lande schildern. Für uns beeindruckend, dass der bekannte Schriftsteller bis zu seinem Tode Kontakte mit Pretzscher Bürgern, aber besonders mit dem Kinderheim „Adolf Reichwein“ pflegte.
Der rothaarige Junge verbrachte seine Kindheit in Bohldorf (Niederlausitz). Sein Vater betrieb hier eine kleine Landwirtschaft und backte besonders Brot, das die Mutter zusammen mit anderen Lebensmitteln für den dörflichen Bedarf in einem kleinen Laden verkaufte. Strittmatter besuchte das Spremberger Gymnasium, das er jedoch plötzlich abbrach. Begründung, er will Bäckermeister werden. So arbeitete er zunächst in der Backstube seines Vaters mit. Da dieser jedoch keinen Meisterabschluss hatte, kann er seinen Sohn als Bäckerlehrling nicht ausbilden.
Als der junge Strittmatter in einer Anzeige las, dass in Pretzsch an der Elbe ein Bäckerlehrling gesucht wird, setzt er sich in den Zug und fuhr im Jahr 1931 in das kleine Städtchen, am Rande der Dübener Heide.

Das Städtchen Pretzsch in der damaligen Zeit Vor mir liegt die „Kursächsische Zeitung“ aus dem Jahr 1934. Hier erschien ein Artikel von dem damaligen Bürgermeister der Stadt, Otto Rösenberger. Darin heißt es unter anderem:

„Pretzsch ist heute ein Landstädtchen von über 2.000 Einwohnern. Schloss und Kirche prägen das Stadtbild. Das bewährte Heilbad hilft bei Rheuma, Gicht, Ischias, Fettsucht, Frauenleiden, Kreislaufstörungen. Das freundliche Elbstädtchen ladet Sommerfrischler, Wochenendler, Schwimmer, Angler und auch Wohnungssuchende ein. Die herrliche Kuranlage, die saftig grünen Elbwiesen, ein prachtvoll ausgebautes Familienbad mit einem ostseeähnlichen Badestrand am Fährhaus, einen Kurpark und eine reizvolle Umgebung mit Wald und Heide. Die Kurverwaltung versucht durch Veranstaltungen, besonders im Kurhaus, dazu beizutragen, den Kranken und Erholungssuchenden den Aufenthalt angenehm zu machen.
Im Sommer finden täglich mehrere Konzerte mit der Kurkapelle statt. Nach dem 1. Weltkrieg hatten es die Pretzscher besonders schwer. Unsere Bevölkerung bestand in der Hauptsache aus Gewerbetreibenden, kleinen Bauernwirtschaften; gering war die Zahl der Arbeiter und Beamte.“


In Pretzsch musste der junge Strittmatter während seiner Lehrzeit bei dem Bäckermeister
Carl Knötzsch körperlich hart arbeiten. In seiner Erzählung „Die blaue Nachtigall“ liest sich das so:

„Der Meister, der Lehrling, die Haustochter, das Tellermädchen, die Zugehfrau, Hausknecht Läppchen und ich – wir hatten eine Bäckerei, eine Konditorei, ein Ladengeschäft, ein Kaffeehaus und eine Ziegenlandwirtschaft zu bewalten, und der Meister holte alles an Arbeitskraft aus uns heraus, was er kriegen konnte, und er tat es nicht schlechter und nicht besser als alle anderen Handwerksmeister des Städtchens, unter denen es als ehrenwert galt, alles aus ihren Leuten, was sie kriegen konnten und einer, der es nicht getan hätte, wäre von ihnen für unfähig gehalten worden, einen Handwerksbetrieb zu leiten, und wer will, ohne geistige Not, für unfähig gehalten werden?...“ „Morgens um vier Uhr stand ich auf, bereitete in der Backstube die Teige vor und schickte den Lehrling den Meister wecken. Wir arbeiteten gemeinsam bis gegen sieben Uhr, und der Meister legte sich wieder schlafen, aber der Lehrling und ich schleppten, was wir produziert hatten, in Kiepen in die Stadt und verteilten es in den Häusern. Dann arbeiteten wir weiter, über Mittag hinaus und bis in den Spätnachmittag hinein.“ „Am Frühabend verwandelte ich mich, und aus dem mehlverstaubten, teigverkleisterten, schokoladebeschmierten Bäcker und Konditor wurde ein geschniegelter Kellner: Ich trug eine dunkle Hose, in der ich jede Kirche hätte betreten dürfen, und ich trug eine weiße Jacke, mit der man mich in jede Sekte aufgenommen hätte, und ich band mir einen Schleifenschlips unter den Adamsapfel und dressierte meine Haarwellen, an die heute nicht einmal mehr Falten auf meiner Glatze erinnern.“

„Ich bediente also die Gäste im Café und durfte zehn Prozent Aufschlag für Arbeit, Bedientenumsicht und Lauffleiß kassieren, und ich fühlte mich wie ein Artist, der den ganzen Tag im Stall gearbeitet hatte und der abends im Scheinwerferlicht einem hochverehrlichen Publikum die Tiere (in meinem Falle Frösche und Schwäne aus Buttercreme) vorzuführen hatte und der anschließend mit einem Teller umgehen und sich sein Trinkgeld kassieren durfte.“ „Am Sonnabend trafen sich die Kurgäste im Festsaal des Kurhauses, und diese Wiedervereinigung (sie hatten sich am Freitag zum letzten Mal gesehen) nannten sie Reunion, und das hörte sich fast so nett an wie heute „ mai hoobi“, und um diesen gesellschaftlichen Höhepunkt der Kurwoche nicht zu stören, schlossen wir sonnabends unser Cafe.

Der Meister sagte: „Gehen auch mir auf die REUNION! Ich werde sie dort einführen“, und wir gingen dorthin. Ich vergaß, daß ich mich ausschlafen wollte daß ich mich ausschlafen musste; denn der Meister lud mich ein, und ich vergaß den Schlaf. Der Meister spendierte Wein, und das war der teuerste Wein des Hauses, denn der Meister war verpflichtet, „Zeche zu machen“, um seine angezweifelte Zahlungskräftigkeit zu beweisen. Mir war es gleich, was ich auf meine schwelende Müdigkeit goß; denn Birnensaft erschien und erscheint mir bis heute wohlschmeckender als Wein.“

Die älteren Pretzscher Bürger erzählen heute noch immer das tragische Schicksal des beliebten Bäckermeisters Carl Knötzsch. Erwin Strittmatter schildert im ersten Band seiner „Wundertäter - Trilogie“ über den Gastod seines Meisters, der im Buch Klutzsch heißt.
„Als der preußentreue Vizefeldwebel seine Frau in flagranti mit einem Major erwischt, begehrt der Bäcker auf. Aber der „Stahlhelm – Kamerad“ weist den so weit unter ihm Stehenden in die Schranken. Am Flussufer bricht der Offizier eine Erlenrute aus dem Gebüsch und fährt den aufbegehrenden, in seiner Ehre verletzten, biederen Bäckermeister an: „Betrachten Sie sich als durchgepeitscht, mit dieser Rute durchgepeitscht.“ Zwei Tage später, „beim ersten Grauschimmer des Montags“, kriecht Stanislaus Büdner (Strittmatter- der Verfasser) nichtsahnend aus seiner Kammer. „Er stieg in die Küche. Geruch von Leuchtgas strömte ihm entgegen. Stanislaus wich zurück. Es war nicht nur des Gasgeruchs wegen. Auf dem Küchentisch lag die Leiche seines Meisters, lag da mit geballten Fäusten. Auf dem Kopf trug Kluntsch den Stahlhelm, den er aus dem Krieg mitgebracht hatte. Er war bekleidet mit seiner „Stahlhelmjacke“, trug die Schulterstücke eines Leutnants, weiße Handschuhe und einen Infanteriesäbel. Vizefeldwebel Kluntsch hatte sich selbst befördert, und das in jeder Hinsicht. Eines seiner krummen Beine hing vom Tisch herab. Um den Tisch herum waren Blumen und Tannenzweige gestreut. Dazu zischte der Gashahn, zischte und zischte, als ob Gas für die ganze Welt auszuströmen hatte.“

Im April 1932 beendete Erwin Strittmatter seine Bäckerlehre mit bestandener Gesellenprüfung. Für den jungen Mann wurde die Machtübernahme durch die Nazis ein Ort ernsthafter Suche nach einem politischen Standpunkt. Von einem seiner Bäckerkameraden aufgefordert, entschloss er sich in Pretzsch der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ beizutreten. Dieser Eintritt war auch mit entscheidend für seinen späteren Lebensweg nach dem 2.Weltkrieg. Es erfolgten schwere Lehrjahre, die erst in den 50er Jahren durch die Bekanntschaft mit Bertholt Brecht endeten.
Eva und Erwin Strittmatter besuchten im Jahr 1957 Pretzsch. Aus den Briefen mit einigen Pretzscher Bürgern, mit denen er viele Jahre in Verbindung war, ist ersichtlich, dass der Schriftsteller gern „wieder einmal hinfahren würde“. Ein Hinderungsgrund war wohl sein enormes Arbeitspensum.
Nachwirkend waren aber Kontakte mit dem Kinderheim „Adolf Reichwein“ in Pretzsch. Von 1960 bis 1976 erschien im Kinderheim eine Heimzeitung. Für ihre Zeitung schrieben die Mädchen und Jungen des Heimes die Texte, illustrierten sie durch die Anwendung von verschiedenen künstlerischen Techniken und stellten diese Monatsschrift in ihren Anfängen im einfachen Ormig-Verfahren her. Später druckten die Herausgeber die Heimzeitung in ihrer kleinen Druckerei. Die gedruckte Zeitung gewann im Laufe der Zeit in- und außerhalb der Einrichtung immer mehr Ansehen. In einem Wettbewerb hatten die Leser den Titel „Träum vor – PACK ZU“ für ihre Heimzeitung ausgewählt. Aus dem Text „Der Wald der glücklichen Kinder“ des damals schon sehr bekannten Schriftstellers Erwin Strittmatter fanden die Schülerinnen und Schüler den Ausspruch „Träum vor – PACK ZU“ als Titel besonders geeignet. Dieser erwähnte Text war als Lesestück im Schullesebuch für die 5. Klasse erschienen.
Erwin Strittmatter, war den Mädchen und Jungen durch seine beachtungswerten Kinderbücher kein Unbekannter. Nicht nur durch den Titel ihrer Zeitung „Träum vor – PACK ZU“ fühlten sich die Mädchen und Jungen mit Erwin Strittmatter verbunden. Es gab noch weitere Bemühungen um Kontakte. Die Aktivitäten dazu gingen hauptsächlich vom damaligen Kunsterzieher des Kinderheimes Wolfgang Holtz aus, der Erwin Strittmatter und seine Frau Eva auf dem Schulzenhof, besuchte. Auch einige Pretzscher konnten ihn auf seinen Wohnsitz bei Gransee besuchen.
Mit seinen Kurzgeschichten hatte es Erwin Strittmatter besonders den Zeichnern und Druckern des Kinderheimes angetan. Zwei seiner Geschichten, „Maustod“ und „Der Spuk“ erschienen 1966 im „Schulzenhofer Kramkalender“, wurden von den jungen Künstlern gedruckt, mit Linolschnitten illustriert und als kleine Büchlein gebunden.
Es war natürlich selbstverständlich, dass der Schriftsteller die hier gedruckten Geschichten erhielt. Als Antwort kam ein Päckchen mit Strittmatters „Pony Pedro“ und folgender Widmung:
„Den jungen Druckern aus der Heimoberschule Pretzsch mit Dank für die Bändchen „Der Spuk“, auf die ich so stolz bin, daß ich sie all meinen Freunden zeige. Seid froh und munter! Ich grüße Euch sehr herzlich Euer Erwin Strittmatter.“


Quellen:
- Erwin Strittmatter „ Die blaue Nachtigall“ u. „Wundertäter- Trilogie“ I. Band
- Günther Drommer „Des Lebens Spiel“
- Unterlagen aus der Chronik des Kinderheimes Adolf Reichwein Pretzsch
- Pretzscher Zeitung Jahrgang 1932
- Briefe von Ursula Knötzsch und Anni Mielke

Informationen
Heidemagnet
Heidemagnet im Internet

Schwimmhalle
Link zur Webseite

Heidi Magazin
www.heidimagazin.de

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